Wenn aus Zweisamkeit Einsamkeit wird und wie Paare sich trotzdem nicht (ganz) verlieren

Beziehungskrisen kommen und gehen. Manche sind kleiner, manche größer, viele lassen sich klären. Manche aber zerrütten das Miteinander in schmerzvollen Schritten. Je länger sie bestehen, desto mehr verlieren wir die Verbundenheit und Nähe zu unserem Partner. Und je mehr Verbindung verloren geht, umso weniger Nähe lassen wir zu und ziehen uns zurück. Dieser Rückzug führt auf lange Sicht zu Einsamkeit innerhalb einer Beziehung – und das meist auf beiden Seiten. Wir fühlen uns allein gelassen, nicht gesehen und irgendwann nicht mehr einander zugehörig. Ein Teufelskreis, wenn es darum geht, eine Krise gemeinsam zu überwinden. Wie kann es Paaren dennoch gelingen, gut und vor allem gemeinsam durch eine schwierige Zeit zu kommen?
Der Ursprung einer jeden Krise: unerfüllte Bedürfnisse
In jeder Beziehung kommt es zu Konflikten und schwierigen Phasen. Das ist völlig normal und gehört dazu. In Partnerschaften werden sie meist als stark emotional belastend empfunden und häufig von negativen Gefühlen wie Ohnmacht, Enttäuschung oder Einsamkeit begleitet. Es ist nun einmal so, dass die Menschen, die wir am meisten lieben, auch diejenigen sind, die uns am tiefsten verletzen können.
Bleiben Konflikte über einen längeren Zeitraum ungelöst, kann sich daraus eine Beziehungskrise entwickeln. Unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse treffen hier aufeinander, die nicht miteinander in Einklang gebracht werden können. Dadurch entsteht das Gefühl, nicht gesehen, nicht wertgeschätzt oder nicht (genug) geliebt zu werden. Erst einmal aufgekommen, verstärkt sich diese Wahrnehmung und beeinflusst die Beziehungsdynamik. Mit der Zeit entwickelt sich Distanz zu der Person, die als Auslöser dieser Gefühle gesehen wird. Aus dieser Distanz heraus beginnen wir uns anders zu verhalten. Das liegt entweder daran, dass wir uns nicht mehr so sicher fühlen wie zuvor und emotional agieren, oder einfach daran, dass wir irgendwann einmal gelernt haben, auf diese Art zu reagieren, wenn wir abgewiesen oder nicht ernst genommen werden – ein tief in uns verankertes Beziehungsmuster.
Die Folgen von Distanz und nachlassender Nähe

Distanz führt schnell zu einer Veränderung des Verbundenheitsgefühls. Es nimmt ab. Und selbst wenn nur eine Seite diese Distanz empfindet, so spürt dies die andere Person intuitiv und beginnt negative Gefühle auch bei sich selbst wahrzunehmen.
Auch ohne logische Erklärung beeinflusst die wahrgenommene Veränderung unser Verhalten und unsere Reaktionen. Sprechen beide Partner nicht unmittelbar darüber und klären die Situation, beginnt ein Teufelskreis mit hoher Konfliktdynamik. Insbesondere dann, wenn beide Partner sehr sensitiv für das Verhalten des jeweils anderen sind.
Die Folge von entstandener Distanz und weniger Verbundenheit ist weniger Nähe – emotional und körperlich. Auf emotionaler Ebene ziehen wir uns zurück. Vielleicht rufen wir die beste Freundin an oder lassen beim Sport den Frust raus, den wir spüren, ohne allerdings unserem Partner von unserer inneren Not zu erzählen. Häufig wachsen die Frustrationen dadurch. Was nutzt es der Beziehung, den Boxsack zu prügeln, wenn man das Gefühl hat, von seinem Partner wieder einmal nicht verstanden zu werden oder einer Freundin sein Leid zu klagen, wenn der Adressat doch jemand ganz anderes ist? Das Positive zuerst: Es hilft uns persönlich dabei, die eigenen Emotionen zu sortieren, zu fühlen und dadurch etwas zu besänftigen. Das ist gut und wichtig und immer auch ein relevanter Teil der gemeinsamen Beziehungsarbeit. Das Schwierige: NUR wenn unser Partner erfährt, welche Gefühle durch welche Aussagen, Handlungen oder unerfüllten Bedürfnisse in uns ausgelöst werden und wie sich das anfühlt, haben wir eine Chance auf Klärung.
Auf körperlicher Ebene zeigt sich Distanz und weniger Nähe zum Beispiel darin, dass kleine Gesten der Wertschätzung ausbleiben, der Wunsch, sich körperlich nah zu sein, scheinbar abnimmt und sich das Sexualleben verändert. Je mehr die emotionale Distanz zunimmt und je weniger körperliche Nähe zueinander gesucht wird, desto schneller verlieren Paare die Verbundenheit zueinander – der nächste Teufelskreis.
Krisen sind somit durch eine abwärts verlaufende Beziehungsdynamik geprägt, aus der es sehr schwer ist gemeinsam auszubrechen.
Wie hat die Beziehung dennoch eine Zukunft?
Rückzug vermeiden und negative Beziehungsdynamiken durchbrechen

Das Gefühl, nicht gesehen zu werden oder aktive Zurückweisung haben Distanzierung zur Folge. Vielleicht haben wir gelernt, dass Rückzug ein Weg für uns ist, wenn Bestätigung ausbleibt, wir keine Aufmerksamkeit bekommen oder uns nicht wirklich gesehen fühlen. Doch sich zurückzuziehen oder Mauern um sich zu errichten wirkt in Konflikt- und Krisensituationen wie ein Brandbeschleuniger. Die Frustrationen oder Enttäuschungen unausgesprochen brodeln zu lassen, verstärkt diese auf lange Sicht umso mehr. Nicht nur aus meiner Praxis, sondern auch aus persönlicher Erfahrung weiß ich, wie schwierig es ist, im Zuge von Auseinandersetzungen oder besonders dann, wenn man schon länger das Gefühl hat, in einem oder mehreren Bedürfnissen nicht gehört zu werden, trotzdem die Nähe zu seinem Partner zu suchen, die Hand zu greifen und zu sagen: „Hey, das hat sich gerade nicht gut angefühlt und ich habe den Wunsch, dass wir in Ruhe darüber sprechen. Wann können wir einen Moment dafür finden?“
Ein gesundes Beziehungsverhalten wirkt Wunder
Sobald eine Person sich zurückzieht, wird der Spielraum für eine gemeinsame Klärung eingeengt. In den meisten Fällen reagiert die andere Person ebenfalls mit Rückzug – außer sie hat bereits gelernt, sich trotz der eigenen Emotionalität in die andere Person hineinzuversetzen (stark ausgeprägte Empathiefähigkeit), sich selbst zu zentrieren (Abstand von den eigenen Emotionen gewinnen und die Beobachterrolle einnehmen) und zugleich das Vertrauen in sich selbst und in die Sicherheit in der Beziehung zu haben, um sich mit der eigenen Verletzlichkeit der anderen Person wieder zu nähern und offen auf sie zuzugehen. Ganz schön viel auf einmal, oder? Sind wir dazu imstande, sprechen wir von einem gesunden Beziehungs- und Bindungsverhalten, das sich äußerst positiv auf das Miteinander auswirkt. Gerade auch dann, wenn der Partner nicht ganz so gut mit der Situation oder Krise umgehen kann. Aber auch wenn wir uns damit sehr schwertun, dürfen wir uns merken, dass Rückzug und Abwehr jede Chance auf Harmonie und Lösungen ersticken.
Ein gesundes Beziehungsverhalten kann gelernt werden. Dazu bedarf es jedoch… hier weiterlesen.